Die Gretchen-Frage

Heute am Telefon: „Meine Hundetrainerin hat gesagt, wenn ein/e HundetrainerIn mit Halsband arbeitet, dann gleich Finger weg. Arbeiten Sie mit Halsband? Wie ist Ihre Meinung dazu?“

Da war ich doch einen kurzen Moment baff. „Ich halte nichts von unreflektierten Verallgemeinerungen“, war kurzfristig die einzige Aussage die mir dazu passend schien.

Gibt es tatsächlich noch HundetrainerInnen, die derart dogmatisch auf einem bestimmten Hilfsmittel zum Führen eines Hundes beharren?

 

Anatomische Probleme

Geht ein Hund wunderbar und in jeder Situation an lockerer Leine ist es grundsätzlich egal, ob er ein ausreichend breites Halsband oder ein gut sitzendes Brustgeschirr trägt.

Tut er das nicht, kann das Führen am Halsband zu Verletzungen im Hals- und Halswirbelbereich führen. Auch Fehlverknüpfungen durch „in die Leine springen“ und die damit verbundenen Schmerzen sind sehr wahrscheinlich.

Zieht der Hund aber ständig an einem unpassenden Brustgeschirr, ergeben sich Fehlhaltungen und langfristig grobe Probleme des Hunderücken und am gesamten Bewegungsapparat.

 

Leinenführigkeit üben

Gerade zum Üben der Leinenführigkeit bietet es sich aus meiner Sicht an, Hunde mit Brustgeschirr und Halsband auszustatten. Übungen werden dann – nach vorheriger Anleitung durch den/die HundetrainerIn – am Halsband durchgeführt. Für übungsfreie Spaziergänge oder Passagen wird die Leine auf das Brustgeschirr „umgehängt“.

So wird für den Hund eine ganz einfache Unterscheidung zwischen Übung und Alltag geschaffen.

Warum benötigt der Hund diese Unterscheidung eigentlich? Weil auch Frauchen und Herrchen nicht einen ganzen Spaziergang lang die Konzentration aufbringen zu „trainieren“. Wer auf diese Weise trainiert kann schlechte Erlebnisse oder Rückschläge, die durch Frustration oder Unkonzentriertheit oft entstehen, sehr leicht umgehen.

 

Gewöhnung des Welpen

Auch für Welpen ist es meines Erachtens wichtig, beide Hilfsmittel kennen zu lernen. Selbst wenn man vorhat, seinen Hund dessen ganzes Leben am Brustgeschirr zu führen werden sich mit großer Wahrscheinlichkeit Situationen ergeben, in denen dies einfach nicht möglich ist.

Entläuft der Hund zum Beispiel oder entkommt bei einem Autounfall aus dem Fahrzeug, werden ihn einfangende Personen kaum ein passendes Brustgeschirr parat haben. Eventuell finden sich aber längliche Objekte (Schnürsenkel, Gürtel, Festhaltegurte), die dann um den Hundehals gelegt werden. Auch die Wiener Tierrettung oder die Polizeihundestaffel (die entlaufene Hunde oft einfangen) haben kein Arsenal an unterschiedlichen Brustgeschirren im Auto liegen.

Unwahrscheinlich, weil Bello ohnehin nie weglaufen würde?

Nach einer Operation am Brustkorb liegen die Gurte des Geschirres möglicherweise genau über der genähten Stelle. Da soll der Hund dann plötzlich mit einem Hilfsmittel, das er nie kennen gelernt hat (Halsband) geführt werden?

 

Doppelführung

Ich statte HalterInnen sehr unsicherer Hunde sehr gerne mit sogenannten Sicherheitsgeschirren aus. Dies nicht nur wegen der Ausbruchssicherheit, sondern vor allem wegen des stabileren „Rahmens“ den man dem Hund mit einem Sicherheitsgeschirr geben kann. Eventuell übe ich dazu eine Doppelführung, bei der zwei Leinen (oder die beiden Karabiner einer längeren Leine) am Geschirr befestigt werden.

Da der Faktor „Mensch“ und auch dessen Empfindungen im Hundetraining aber nie in den Hintergrund rücken dürfen, gibt es auch gute Gründe für eine zusätzliche Sicherung am Halsband. Besonders bei sehr ungleichen Größenverhältnissen von Hund und HalterIn kann eine Doppelführung an Brustgeschirr und Halsband oft zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl des/der HalterIn beitragen.

 

Situationsabhängiges Training

Wer einer Beschäftigung mit seinem Hund nachgeht (Hundesport jeglicher Art, Suche von Menschen/Trüffeln/Gegenständen, etc.) weiß, dass es besonders am Anfang des Trainings wichtig sein kann, Rituale zu etablieren. Diese sollen es dem Hund erleichtern zu unterscheiden, welche Übung gerade gefragt ist. Rituale können auch Anfang und Ende der Übung markieren.

Oft sind diese mit einem „Umhängen“ vom Halsband ans Brustgeschirr (oder umgekehrt) verbunden.
Unterschiedliche Brustgeschirre/Halsbänder können für den Hund aber auch unterschiedliche Such-Arten kennzeichnen.

 

Finger weg von Verallgemeinerungen

Vermutlich könnte man diesen kleinen Aufsatz noch mit vielen Beispielen ausschmücken. Es gibt außerdem einige wundervolle Artikel zum Thema Vor- und Nachteile von Brustgeschirr und Halsband.

Meine Antwort auf die Frage, ob ich auch mit Halsband trainiere ist also folgende:

Pauschalisierungen lehne ich grundsätzlich ab und versuche die von mir angebotene Leistung individuell auf das Mensch-Hund-Team abzustimmen. Ich erweitere mit Fortbildungen stets meine Fachkenntnis und versuche möglichst viele Aspekte im Auge zu behalten. Dadurch bin offen für Neues und kann auf diese Art und Weise meinen KundInnen zu wundervollen Momenten und Erfolgserlebnissen mit ihren fellnasigen Begleitern zu verhelfen.

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