Zeit zum Kennenlernen

Es macht Sinn, sich für das Kennenlernen eines neuen Hundes etwas mehr Zeit zu lassen. Und genau das habe ich getan.

Drum prüfe, wer sich ewig bindet

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet, der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang.“

Friedrich Schiller hat mit diesen Worten beschrieben, dass Bindung auch viel Verantwortung mit sich bringt. 

Genau das ist das Thema des heutigen Blogs. Dein Hund lebt 10 bis 15 Jahre, oder – wenn du Glück hast – noch viel länger. Diese Jahre sind wundervoll, doch manchmal auch durchwachsen. Jeder Mensch, der schon einmal einen Hund hatte, weiß, dass es Zeiten gibt, in denen das Zusammenleben alles andere als einfach ist.

Kennenlernen? Heutzutage scheinbar völlig überbewertet

In den letzten Jahren sehe ich einen sehr beunruhigenden Trend. Alles muss schneller, unkomplizierter, billiger und mit dem geringstmöglichen Zeitaufwand passieren.

Leider zeichnet sich diese Entwicklung auch bei – häufig unüberlegten – Hundeanschaffungen, ab.

Da wird mit einem Klick im Internet eingekauft, ob Rasse- oder Tierschutzhund, mit flauschigen oder stark mitleiderregenden Fotos. Die Ansprechperson und der Vermittlungstext geben in drei Absätzen Aufschluss darüber, was der Hund bisher erlebt hat. Ein Anschein von Seriosität wird mit Signalworten erreicht.

 

Klingt doch alles ganz gut, oder? Es verwundert beinahe, dass unter dem süßen Foto nicht steht:„Jetzt bestellen, möchten Sie den Express-Checkout nehmen?“

Häufig findet nicht einmal ein einziges Kennenlernen statt, bevor der Hund beim Züchter abgeholt, im Auto angekarrt, oder am Parkplatz übergeben wird.

Und die Konsument:innen sind überzeugt davon (und erzählen das auch), sich „die Sache gut überlegt“ zu haben. Soweit, so schrecklich.

Auf dem Boden der Tatsachen angekommen, verliert nur einer: der Hund

Der bestellte Hund kommt nun in sein neues Zuhause, doch im Gegensatz zu anderen Konsumartikeln handelt es sich um ein Lebewesen. Und je nach tatsächlicher Seriosität der Quelle gibt es kein 14-Tage-Rücktrittsrecht. Ganz im Gegenteil.

Einander komplett fremde Lebewesen teilen sich nun eine Wohnadresse. Solche Spontankäufe gehen in den wenigsten Fällen gut aus.

Welpen haben meist noch etwas mehr Zeit, ihren Halter:innen so große Schwierigkeiten zu machen, dass sie abgegeben werden. 6 bis 12 Monate im Durchschnitt, denn dann setzt die Pubertät ein.

So genannte „Tierschutzhunde“ (und ich spreche hier keine Tiere aus gut durchdachtem, seriösen Tierschutz an), werden in ihrer Überforderung mit der neuen Haltungsumwelt noch viel früher ein massiv störendes Problem, das weg muss.

Vielleicht ist es so auch Pina gegangen.

4 Jahre Tierheim

Mehrere Zufälle später stand ich Ende Mai vor ihrem Zwinger.

Meine Anforderungen an den nächsten Hund waren denkbar einfach: eine Hündin sollte es sein, körperlich gesund, damit ich mein Lieblingshobby (Laufen) mit ihr gemeinsam machen konnte und ich kann gar nicht genau sagen, warum. Doch Pina geistert seit Jahren in meinem Feed. Wann immer ich auf Tierheimseiten stöberte (stets für andere Personen) geisterte sie dort herum.

Dunkelbraun, 10 kg klein, Fledermausohren. Irgendetwas an ihr hat mich immer festgehalten.

 

Viel Geschichte gibt es zu ihr nicht.

Sie ist 4 Jahre alt und sitzt schon mindestens 3,5 davon im Tierheim. Viele Interessenten hatte sie nie, da sie zwar schnell aufgeschlossen ist, aber doch auch ein paar – nunja – „Eigenheiten“ mit sich bringt. Pina wurde daher nur über eine Betreuungspatenschaft übergeben.

In kurzen Worten bedeutet das, dass die Person, die Pina übernehmen möchte, sich für ein ausgiebiges Kennenlernen Zeit nehmen muss. Und das ist schon abschreckend genug, um sich erst gar nicht für das Hündchen zu interessieren.

Eine Vermittlung zu einer Betreuungspatin ging schief.

Kennenlernen mit Aha-Effekt

Ich würde nun gern erzählen, dass Pina und ich uns vom ersten Moment an in den Armen (und Pfoten) lagen und danach gemeinsam in den Sonnenuntergang gelaufen sind. Ganz so einfach war es dann doch nicht.

Die ersten Spaziergänge, die ersten Stunden bei mir zuhause und auch Spiele-Einheiten mit Furio waren von rosa Plüschwolken geprägt. Ich habe mehrfach und zu unterschiedlichen Menschen in meinem Umfeld gesagt: „Ich habe keine Ahnung, warum die seit 4 Jahren sitzt.“ Ich konnte mir auch nicht erklären, was überhaupt passieren musste, damit Pina die drastischen Reaktionen zeigte, von denen mir berichtet wurde.

Doch nach den ersten etwa vier bis sechs Wochen ging es los. Die kleine Madam hat sich plötzlich gar nicht mehr von ihrer dunkelbraunen Schokoladenseite gezeigt, was ihr schnell das Attribut „zartbitter-edelherb“ einbrachte.

Nun sollte man meinen, dass ich in meinem Leben schon den einen oder anderen schwierigen Hund hatte – man beachte die undramatische Schönung – doch das ist wirklich lange her.

Mateja und ich waren schon ein wunderbares, eingespieltes Team. Von Furio, meinem kleinen Satelliten, der der zuverlässigste Begleiter ist, den ich je hatte, ganz zu schweigen.

Pina hat mich bei mehreren Gelegenheiten vor Herausforderungen gestellt, die ich diesem kleinen Wesen nicht zugetraut hätte. Und die mich an der Richtigkeit meiner Entscheidung, sie zu uns zu holen, haben zweifeln und auch verzweifeln, lassen.

422 Stunden Zeit zum Kennenlernen

 

Heute ist der 16. September und Pina ist soeben bei uns eingezogen.

Von 18.5. bis 16.9. habe ich insgesamt 422 Stunden damit verbracht, sie kennen zu lernen.

Ich habe inzwischen viele Dinge über Pina verstanden und gelernt, es wäre hier wohl zu ausschweifend näher darauf einzugehen. Und auch Pina hat so, so viel (kennen-)gelernt. Immerhin war es wichtig für mich zu sehen, ob sie zumindest mit dem sehr kleinen, wertschätzenden Hundemenschen-Umfeld, mit dem ich den meisten Kontakt habe, kompatibel ist.

Pinas allergrößte Stärke ist ihre unendliche Resilienz. Sie geht sehr aufgeschlossen und mutig in fast jede Situation und nimmt Hilfe und Führung an, wenn sie diese braucht.

Bei unseren allerersten Spaziergängen habe ich ihr versprochen, niemanden in ihre Nähe zu lassen, der oder die ihr nicht geheuer ist. Ich sage das nicht nur so dahin, ich halte dieses Versprechen. Und Pina merkt das und dankt es mir damit, dass sie fantastische Entscheidungen trifft, auch wenn es eng wird.

Und die Moral von der Geschichte?

Ich möchte gar nicht den Moralzeigefinger heben. Diese Worte sind auch kein Auftrag, über 400 Stunden mit dem Kennenlernen eines Hundes zu verbringen.

Doch dieser Beitrag soll zum Denken anregen. Es macht Sinn, über manche Entscheidungen länger nachzudenken. Es zahlt sich aus, sich beim Kennenlernen eines anderen Lebewesens Zeit zu nehmen.

Der Hund sucht sich den Menschen nicht aus – wie es so oft behauptet wird. Er ist zu zu dieser einen Person hingelaufen, weil er ein hochsoziales Lebewesen und im Welpenalter besonders neugierig ist.

Der MENSCH sucht sich seinen Hund aus. Er trifft die Entscheidung, nun mit diesem anderen Individuum zusammenzuleben, ganz alleine.

Kommen wir also zurück zu Schillers Zitat:

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet“, schreibt er und er meint damit, dass man sich Zeit lassen soll, prüfen und hinterfragen soll, ob die Entscheidung richtig ist. Im gemeinsamen Kennenlernen sieht man „ob […] das Herz zum Herzen findet“.

Denn eins hat Schiller durchschaut und das gilt für die Liebe, wie auch für Hundeanschaffungen

„der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang.“

Dem Menschen bleibt immer noch die Hundeabgabe. Dem Hund bleibt nichts.

Happy Gotcha-Day, Pina!

Um nicht ganz so finster zu ändern, noch ein paar Worte an meine kleine Pina Colada, Pinãta-Burrata, Pinpin, Haselmaus:

 Willkommen, in der Familie, Chaoshündchen. Ich hatte mich von der ersten Sekunde an in dich verliebt und bei den letzten paar Malen, als ich dich besucht habe, wolltest du nicht mehr zurück in den Zwinger gehen.

Ich nehme das als ein ‚ja‘ von deiner Seite und ich freue mich auf die vielen grauen Haare, die du mir bereiten wirst und auch die gemeinsamen Expeditionen auf einsame Berggipfel.

Wir werden viel Spaß haben, Furio, du und ich und alle unsere Hunde- und Menschenfreunde.

Ich wage zu behaupten, dass du bei uns einen guten und sicheren Platz zum Leben finden wirst.

 

(Und jetzt werden Pina Coladas serviert!)

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